Ashtanga Yoga hat eine lange Tradition der persönlichen Weitergabe von Lehrenden an Lernende (parampara), deren erste Aufzeichnungen schätzungsweise mehrere Tausend Jahre alt sind.
Die Wurzeln seiner heutigen Form entspringen der Schule von Sri T. Krishnamarchaya. Er war Lehrer von Sri K. Pattabhi Jois, welcher ab 1937 in Mysore in Südindien die heute bekannten Serien des Ashtanga Yoga zusammengestellt und weltweit bekannt gemacht hat. In der von ihm gegründeten KPJAY Shala und im Sharath Yoga Centre seines Enkels Sharath Jois wird auch nach seinem Tod in 2009 die Lineage weitergeführt. Übende aus aller Welt reisen hierher um gemeinsam zu studieren und ihr Wissen und ihre Erkenntnisse in die Welt zu tragen.
Nach dem überraschenden Tod Sharaths am 12. November 2024 befindet sich die Ashtanga Yoga Community in einer Art Schwebezustand, denn Sharath stellte mit seiner unvergleichlichen Erfahrung und seinem großen Wissen eine Art Achse dar, um die sich alles gedreht hat.
Kennzeichnend für die Ashtanga Yoga Praxis sind die drei Charakteristika Atmung, Bewegung und Drshti, die als tristhāna unter einem Begriff zusammengefasst werden. Tristhāna bedeutet so viel wie sich über drei Welten ersteckend oder drei, die zusammenstehen. Die Schreibweise mit „h“ ist sehr wichtig, denn der Begriff wird häufig mit tristāna verwechselt, was dreibrüstig bedeutet.
Jeder einzelnen Bewegung im Ashtanga ist ein Atemzug zugeordnet. Eine solche Einheit aus Atmung und Bewegung nennt sich Vinyasa. Das gesamte Ashtanga Yoga System basiert auf diesem Konzept.
Sri K. Pattabhi Jois beschreibt Ashtanga Yoga als „Breathing-Movement System”, was auch der Titel seines Buches „Yoga Mālā” sehr schön illustriert. Die Atmung ist demnach die Schnur der Māla, auf die Āsanas wie Perlen aufgezogen werden.
Der oft gebrauchte Begriff Ashtanga Vinyasa Yoga ist jedoch grundlegend falsch und wurde von westlichen Lehrern geprägt. Der Begriff vinyāsa reduziert das System schlicht auf die Asanapraxis, dabei umfasst Ashtanga Yoga alle acht Glieder des Yoga.
Die Basis für die Asana Praxis ist die geführte Brustkorb-Atmung, die fälschlicherweise lange als Ujjayi Atmung bezeichnet wurde. Eine tiefe, rauschende und sanfte Art der Atmung, die den Impuls für jede Bewegung vorgibt. Anders als bei der natürlichen Atmung, bleibt der untere Bauch hier konstant eingezogen, sodass sich mit jedem Atemzug der Brustkorb hebt und weitet.
Die Atmung fließt großzügig und frei und ihr Klang ähnelt einem beruhigenden Meeresrauschen. Dabei wirkt sie wie ein inneres Feuer, das den Körper aufwärmt und ihn so beweglich und geschmeidig macht.
Unmittelbar verknüpft mit der Atmung sind die Bandhas, sogenannte Energieverschlüsse, die alles viel leichter machen – wenn man sie erstmal gefunden hat.
Die beiden wichtigsten Bandhas sind Uddiyana und Mula Bandha. Uddiyana Bandha bedeutet grob die Stabilisierung des Bauches unterhalb des Nabels nach innen und oben, während Mula Bandha einem inneren Lift ähnelt, der sich am ehesten mit der Aktivierung der tiefen Beckenbodenmuskulatur beschreiben lässt.
Die Bandhas bilden zusammen eine starke Körpermitte, die den Āsanas die nötige Stabilität verleiht. Sie schützen die Lendenwirbelsäule und machen einige Bewegungen und Drehungen überhaupt erst möglich. Sie werden während der gesamten Praxis gehalten.
Ein zusätzliches Werkzeug sind die sogenannten Drishtis, eine festgelegte Blickrichtung für jedes Vinyasa. Das kann mal Richtung Nasenspitze sein, mal Richtung Fuß, Hand, Nabel oder Stirn. Insgesamt gibt es neun dieser Blickrichtungen. Der Blick geht weich und diffus in diese Richtung, wie ein leichtes Schielen. Die Augen sind dabei passiv, schauen nicht wirklich, fühlen sich eher geschlossen und nach innen gerichtet an. Drishtis helfen dabei, fokussiert zu bleiben und die Balance zu halten. Die Augen wandern nicht im Raum umher und der Blick kann sich regelrecht nach innen versenken. Außerdem kann eine kleine Veränderung der Blickrichtung die Ausrichtung und Stabilität stark beeinflussen, besonders im Bereich der Halswirbelsäule.
Kriyas sind Reinigungstechniken, die helfen, den Körper in einen gesunden, reinen Zustand zu versetzen. Insgesamt gibt es sechs solcher Kriyas (ṣatkriyā).
Einige können bedenkenlos regelmäßig praktiziert werden und sind der Gesundheit sehr zuträglich, andere sind eher für Krankheitssituationen gedacht und können den Körper bei unnötiger Anwendung eher schwächen.
Die sechs Kriyas sind:
Neti, Trataka, Nauli und Kapalabhati können bei guter Gesundheit jederzeit angewendet werden.
Dhauti und Basti sind für einen gesunden Körper nicht notwendig und können ggf. bei Erkrankungen im Verdauungsbereich helfen (mit Arzt/Ärztin absprechen).
Egal wie lange oder bei wem man Ashtanga Yoga übt, es ist nie ganz so wie an der Quelle in Mysore. Denn wie authentisch und traditionell auch immer ein/e Lehrer/in unterrichtet, es ist eine durch die eigene Erfahrung gefärbte Version des Gelernten.
In Mysore selbst ist die Unterrichtsweise sehr klar und reduziert. Keine Schnörkel, kein Geplänkel – Just do your practice. Das authentische kulturelle Umfeld wirkt eher nüchtern und sachlich. Und genau hier liegt der Schlüssel.
Du wirst komplett auf dich selbst zurückgeworfen. Es geht lediglich darum, jeden Tag auf der Matte zu erscheinen und zu tun, was gerade möglich ist. Nicht mehr und nicht weniger. Niemand wird beeindruckt sein, du tust es allein für dich selbst. Dadurch kommst dir selbst ein großes Stück näher, schaust täglich dein Spiegelbild an – schonungslos ehrlich. Ich habe es anfangs gleichzeitig geliebt und gehasst. Und danach fühlt sich keine Praxis zu Hause an wir zuvor.
Ein weiterer Grund, nach Mysore zu reisen ist natürlich die Community. Ashtangis aus der ganzen Welt kommen hier zusammen und egal wie groß oder klein ihre Namen sind – hier sind alle gleich.
Wenn du Interesse hast auch mal nach Mysore zu reisen, unterstütze ich dich gern bei der Vorbereitung.
Die Ausrichtung mit dem Kopf nach vorne hat einen einfachen Grund, der mit der indischen Kultur zu tun hat.
Die Fußsohlen gelten in Indien (genau wie die linke Hand) als unrein, wobei hingegen die Oberseite der Füße für Weisheit steht. Daher kann man häufig beobachten, dass Menschen oft die Füße ihrer Gurus berühren, um symbolisch etwas von ihrer Weisheit zu erlangen. Oder dass ein Publikum am Boden nie mit nach vorne ausgestreckten Beinen sitzt.
Da im Yogaunterricht der/die Lehrer/in tendenziell vorne steht und wir uns zu Beginn der Praxis in den Sonnengrüßen vor der Sonne verneigen (Richtung Osten), käme es einer Beleidigung gleich, die Fußsohlen in diese Richtung zu strecken.